[Review] A God Without A Universe DVD Amaray im Schuber
Ein neuer Stern am Underground-Himmel?
Durch die Kritik eines mir bekannten Reviewers (Viele Grüße an Jichi an dieser Stelle), wurde ich auf das Schaffen des dänischen Independent-Filmemachers Kasper Juhl aufmerksam gemacht. Dieser hat mit Madness Of Many und Monstrosity zwei Filme geschaffen, welche ordentlich Beachtung fanden. Besagte Filme sollen, neben den underground-typischen Goreszenen, durch eine ausgeprägte, künstlerische Inszenierung herausstechen. Für mich also ein Grund mich näher mit diesem Mann und seinen Werken zu beschäftigen. Für die erste Berührung habe ich mich allerdings für seinen dritten Langfilm A God Without A Universe (Alternativtitel: AGWAU) entschieden. Da ich schon einiges aus dem Underground-Sektor gesehen habe, glaubte ich zu wissen was inszenatorisch auf mich zukommt. Aber es passierte etwas, mit dem ich nicht gerechnet habe. Ich wurde überrascht! Das was mir in den 94 Minuten Bruttolaufzeit geboten wurde, habe ich nicht erwartet. Fangen wir aber erstmal mit der wichtigsten Frage an:
Worum geht es?
Anders (Johannes Nymark) wird nach 10 Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Vor den Toren des Gefängnisses wartet schon seine Schwester Mia (Anne Sofie Adelsparre) um ihn abzuholen. Beide verbindet eine traumatische Vergangenheit. Mia wurde von ihrem Vater wiederholt sexuell missbraucht. Die schwer depressive Mutter ignorierte dies nicht nur, sie saß zum Teil sogar lethargisch direkt daneben. Auch Anders hat diese toxische Familienumgebung natürlich mitbekommen. Eines Tages reagiert der große Bruder indem er das Oberhaupt der Familie mit einem Baseball-Schläger ermordet. Deswegen musste Anders auch seine Haftstrafe antreten. Mia holt ihren Bruder also aus dem Gefängnis ab. Der Vater ist tot, die Mutter liegt im Koma und die Geschwister sind wieder vereint. Ein Neuanfang soll her. Alles soll besser werden. Mia ist optimistisch. Sie liebt ihren Bruder abgöttisch. Und auch Anders scheint allmählich aufzutauen. Aber die Wunden der Vergangenheit sitzen tief. Beide Geschwister müssen schmerzvoll erkennen, dass man erlebte Traumata und innere Dämonen nicht einfach abschütteln kann…
Gudsforladt
So lautet der dänische Originaltitel des Streifens, was so viel wie „Von Gott verlassen“ bedeutet. Und das fasst auch am besten die Grundstimmung des Films zusammen. Von der ersten bis zur letzten Minute wird man von einer depressiven, pessimistischen Atmosphäre umgeben. Die Farben sind in ihrer Sättigung reduziert. Musikalisch geben sich emotionale, ruhige Melodien und melancholische Rocksounds die Klinke in die Hand. Auch der Sound sorgt dafür, dass man sich über die ganze Laufzeit nicht wohlfühlt. Sowohl für den Ton, als auch für den Soundtrack ist Anders Norddal verantwortlich gewesen. Er hat die Vision von Kasper Juhl verstanden und die Stimmung von AGWAU akustisch wunderbar interpretiert. Selbiges gilt für den Kameramann Ulannaq Ingemann. Der Film selbst ist an sich sehr ruhig. Aber die Kamera ist ständig in Bewegung. Auch in Dialogen, bei denen die Darsteller nur auf einem Sofa sitzen, ist ein permanentes, leichtes Wackeln zu erkennen. Auch der Schnitt ist erwähnenswert. Dieser erfolgt stellenweise abrupt, manchmal geht er auch in gefühlt ewig lange Schwarzblenden über. Man wird also von einem konstant unruhigem Bild umhüllt. Dies driftet aber nie in eine extreme Wackelkamera oder ein Schnittgewitter ab. Vielmehr symbolisiert es gekonnt die innere Unruhe der Protagonisten.
Was macht Kasper Juhl anders?
Wie ich schon schrieb, wurde ich von AGWAU überrascht. Aber woran lag das? Ist der Film besonders heftig oder extrem in seiner Gewaltdarstellung? Werden Grenzen des Zeigbaren gesprengt? Die klare Antwort lautet NEIN! Und genau das ist es, was diesen Film so besonders macht. In Underground-Filmen gehören die Goreszenen im Grunde zum guten Ton. Viele Filmemacher verlieren sich aber darin. So werden im Grunde interessante Filme, durch extreme, provokative Szenen kaputt gemacht, da man als Zuschauer erkennt, dass die Provokation nur der Provokation diente und die eigentliche Aussage des jeweiligen Streifens nicht weiter bringt. So wird bei manchen Vertretern, beispielsweise bei Vergewaltigungsszenen, mit Hardcore-Szenen gearbeitet. Diverse Körperflüssigkeiten werden von den Darstellern tatsächlich ausgeschieden oder man walzt gestellte Kindermord-Szenen grafisch aus. Das bringt wie gesagt die Handlung nicht weiter, aber die Mundpropaganda funktioniert und geneigte Zuschauer wollen den „nächsten krassen Scheiß“ sehen von dem alle reden. Versteht mich nicht falsch, damit sind nicht grundsätzlich alle Filmemacher gemeint. Wenn man in diese Sparte Film vordringt muss man erwarten, das es heftiger und abseitiger wird. Und es gibt etliche Independent-Regisseure, die besagte harte Szenen sinnvoll in die Handlung einfließen lassen. Es gibt aber ebenso viele, die ohne Sinn und Verstand provozieren wollen. Kasper Juhl hat in AGWAU darauf verzichtet. Dabei hatte er Möglichkeiten. In „A God Without A Universe“ gibt es einige Szenen die sexuelle Gewalt beinhalten. Diese wurden aber nie ausgewalzt. Manche finde sogar nur im Off statt. Streng genommen gibt es nur eine wirkliche Goreszene im letzten Drittel des Films. Diese ist zwar hart anzusehen, sprengt aber nicht irgendwelche Grenzen. Das hat der Film nicht nur nicht nötig, es hätte auch erheblich an der Stimmung gekratzt. Kasper Juhl konzentrierte sich komplett auf die Handlung und die Psyche seiner Protagonisten.
Die Darsteller
Und auch hier bewies er ein talentiertes Händchen. Sowohl Johannes Nymark (Anders), als auch Anne Sofie Adelsparre (Mia) spielen auf einem unglaublich hohem Niveau. Bedenkt man die geringen Produktionskosten (etwa 8000 Euro) ist es schon fast unfassbar wie erstklassig die beiden Hauptdarsteller performen. Der ständige innere Kampf, das Ringen mit den eigenen Dämonen, Nervenzusammenbrüche, alles wird erschreckend glaubhaft rübergebracht. Aber auch die Nebendarsteller sind hervorragend besetzt. Besonders hervorheben möchte ich hier Marie-Louise Damgaard, welche Camilla mimt, und Sonny Lindberg, welcher die Rolle des Simon übernimmt. Beide gehören zum Freundeskreis von Anders und haben selbst mit einigen Problemen zu kämpfen. Bei allen Charakteren kommt Kasper Juhls ausgeprägtes Bewusstsein für starke Charakterprofile zur Geltung. Camilla ist, durch einen Satz der fast schon nebenbei fällt, sogar ein Dreh- und Angelpunkt für die Handlung, beziehungsweise deren Verständnis. Das Ende des Streifens wurde nämlich von einigen Reviewern als „zu übernatürlich“ und damit als leicht enttäuschend angesehen.
Kritikpunkte?
Dies sehe ich aber absolut nicht so! Ich muss nämlich die Frage stellen: Ist es wirklich übernatürlich? Es ist richtig, dass die Handlung ab der Mitte einige Szenen liefert, die schwer mit der Realität zu koppeln sind. Man sollte sich aber immer vor Augen führen in welchem psychischen Zustand die Protagonisten sind. Ebenfalls sollte man sich selbst fragen, ob man den Film (aus Sicht des Regisseurs) als externer Betrachter, oder aus den Augen von Mia und/oder Anders sehen sollte. Ebenfalls ist zu beachten was kurz vor diesen „übernatürlichen“ Szenen passiert ist. Aber mehr will ich nicht verraten. Findet es bei Interesse selbst raus und fällt euer Urteil. Ich selbst konnte keinen wirklichen Kritikpunkt feststellen.
Bonusmaterial
Dies fällt etwas sporadisch aus. Es gibt einen Audiokommentar. Dieser ist komplett auf dänisch und Untertitel sind nicht zuschaltbar. Ergo kann ich da nicht auf den Inhalt eingehen. Außerdem gibt es noch den Kurzfilm Insekt (auf dänisch, mit festen englischen Untertiteln), welcher ebenfalls von Kasper Juhl realisiert wurde. Und Leute, ganz ehrlich, allein dieser Kurzfilm hat schon 10 Punkte verdient. Inhaltlich ist er an AGWAU angelehnt, geht aber andere Wege. Auch hier beweist Juhl sein enormes Talent als Filmemacher. „Insekt“ ist fies und niederschmetternd! Bitte unbedingt sichten! Dennoch muss ich fair bleiben und feststellen, das etwas mehr Bonusmaterial wünschenswert gewesen wäre.
Verpackung
Die DVD selbst ist in einer Standard Amaray-Verpackung, welche in einem Pappschuber steckt. Die Amaray enthält ein Wendecover, bei denen die Inhaltsangaben in insgesamt 4 Sprachen (Deutsch, Französisch, Englisch, Niederländisch) variieren. Ein alternatives Cover wäre mir lieb gewesen, da das gewählte Cover meiner Meinung nach dem Film nicht gerecht wird.
Fazit
AGWAU ist wirklich ein Brett von einem Film. Das schwierige Thema um Traumatas, innere Dämonen und psychische Abstürze wurde absolut hervorragend umgesetzt. Darsteller, Handlung, musikalische Untermalung und visuelle Umsetzung, jedes Zähnchen greift nahezu perfekt ineinander. Und ja, Kasper Juhl ist für mich ein neuer Stern am Underground-Himmel. Er hatte seine Vision, die er auch nach seinen Vorstellungen konsequent umgesetzt hat. Er ist mit einem unglaublichen, filmischen Talent gesegnet und reiht sich damit für mich neben Phil Stevens und Jörg Buttgereit ein. AGWAU ist zwar im Vergleich zu anderen Genre-Vertretern ruhiger und grafisch weniger heftig, das heißt aber nicht, dass er harmlos ist, im Gegenteil! Wägt bei Interesse bitte unbedingt eine Sichtung ab. Wer mit abseitigen Dramen um schwierige Themen etwas anfangen kann, ist hier aber definitiv gut aufgehoben.
Ok, da ist er. Gut, dass du schreibst, dass das Cover irreführend ist. Das kennt man ja von „Trauma“ und den sehr schwierigen Mediabooks hierzu. Aber das hört sich defintiv sehenswert an für Fans des heftigeren Underground, vor allem, was Schläge in die psychische Magengrube angelangt, die wir ja sind;-)
Danke für die Review dieses sehr interessanten Titels!
Jup, das Cover ist, in Anbetracht des Inhalts, echt für die Tonne.
Geht man ausschließlich nach dem Cover, könnte man ein Dauergesuppe mit ordentlich nackter Haut erwarten. AGWAU ist aber eben ein ruhiges, unangenehmes Psychodrama welches in meinen Augen auch mehr Aufmerksamkeit verdient. Eine FSK-Freigabe wäre auf jeden Fall auch drin. Bedenkt man das „American Guinea Pig: The Song of Solomon“ eine FSK 18 bekommen hat, dann wäre bei AGWAU mit ein bisschen Glück sogar eine 16er drin.
Mit „Trauma“ gibst du ein gutes Beispiel. Die von dir erwähnten Mediabooks sind tatsächlich….keine Ahnung was die sich dabei gedacht haben. Sie passen aber irgendwie auch wieder zum Film. Denn „Trauma“ gehört zu dieser Gattung Film, bei der inhaltlich viel möglich gewesen wäre. Am Ende ist er aber zugepflastert mit etlichen, inhaltlich sinnlosen, Provokationen, die den Film in meinen Augen kaputt machen und ihn dadurch der eigentlich geplanten Schockwirkung entziehen. Ähnlich ist es mit dem berüchtigten Serben. Inhaltlich durchaus interessant und filmtechnisch super umgesetzt. 2-3 Szenen sind aber einfach zu drüber und brüllen gerade zu: „Ich will einfach nur provozieren!“.
Da finde ich es subtiler besser und effektiver. Dazu gehören unter anderem der oben besprochene AGWAU, „Flowers“ von Phil Stevens oder der polnische Film „Playground“. Letzterer hat, wenn ich mich richtig erinnere, keinen Tropfen Blut zu bieten, ist mit einer FSK 16 durchgekommen und einer der heftigsten Filme die ich je gesehen habe.
Ansonsten, gern geschehen! :)
Ich danke dir fürs Lesen, sowie allen anderen die meinen Zeilen eventuell etwas abgewinnen können.