[Review] Das Lehrerzimmer (Blu-ray Amaray)
Inhalt
Die junge Lehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) führt ihre Arbeit sehr engagiert und idealistisch aus. Damit stößt sie mitunter der Schulleitung, dem Kollegium, den Eltern und zum Teil auch den Schülern vor den Kopf. Carla ist von Werten wie Kommunikation, Empathie und struktureller Herangehensweise überzeugt. Sie sieht es nicht ein gewisse Missstände als gegeben hinzunehmen oder gar zu ignorieren. Als sich in der Schule diverse Diebstähle häufen und Carla mit der Herangehensweise ihrer Kollegen nicht einverstanden ist, beginnt sie auf eigene Faust zu ermitteln. Ein nicht vollends durchdachter Schachzug von Carla lässt die sowieso schon angespannte Lage im Gymnasium eskalieren. Die Lehrerin hält an ihrer Herangehensweise fest und lässt sich nicht verbiegen. Dadurch sieht sie sich immer unangenehmeren Situationen ausgeliefert. Diese Umstände machen auch ihrer Psyche zu schaffen und Carla scheint nach und nach an der Situation zu zerbrechen…
Hoffnung für den deutschen Film?
Das Lehrerzimmer ist mir in den letzten Wochen immer wieder als Filmtipp empfohlen worden. Dabei ist der Streifen der breiten Masse gar nicht so richtig bekannt. Fliegt vergleichsweise unter dem Radar. Alles Eigenschaften welche ein Werk für mich interessant erscheinen lassen. Aber da haben wir noch das „Problem“ mit dem deutschen Film. Wenn man an Streifen aus hiesigem Lande denkt, dann kommen einem unweigerlich diverse Til Schweiger- oder Matthias Schweighöfer Werke in den Sinn. Ebenso unzählige Rom-Coms und Familienkomödien, welche sich untereinander kaum unterscheiden und meistens demselben Muster folgen. All diese Filme haben auch mehrere Dinge gemeinsam. Sie riechen aus allen Poren nach Profit, haben einen verschwindend geringen künstlerischen Wert und sind inhaltlich oftmals völlig substanzlos. Dennoch sind einige Werke an den Kinokassen sehr erfolgreich. Zu ergründen woran das liegt würde hier jetzt den Rahmen sprengen. Die Frage ist: Ist DAS wirklich der deutsche Film? Einfache Unterhaltung, welche uns immer wieder denselben Brei vorsetzt? Dödel-Komödien mit Witzen aus der Resterampe? Aufgesetzte Tragikomödien welche gerne mal von guten Filmen klauen? Peinlich hingerotzte Sequels (ja, damit bist du gemeint Manta, Manta – Zwoter Teil!)? Im Mainstream sieht es nicht gut aus. Aber die Masse bestimmt wohin das Geld der Filmförderung wandert. Dennoch gibt es Lichtblicke. Filme wie Das Boot, Das Experiment, Napola, Homevideo, True Love Ways oder Who am I haben bewiesen, dass aus deutschem Lande auch Qualität zu erwarten ist. Wie sich Das Lehrerzimmer schlägt werde ich in den nächsten Zeilen aus meiner Sicht darlegen.
Von Beginn an anders
So lässt sich eine Kritik zu dem Film ganz gut beginnen. Direkt am Anfang fällt nämlich sofort das eher ungewöhnliche Bildformat 4:3 Pillarbox auf, in welchem der komplette Film gedreht wurde. Das bedeutet, dass das Bild auf der Leinwand (oder eurem TV) auf 4:3 gestaucht zu sehen ist. An den Rändern (links und rechts) befinden sich schwarze Balken. Dieses Format hat auch einen filmischen Sinn, welches sich aber erst nach und nach offenbart. Zunächst einmal folgen wir der Protagonistin Carla durch diverse Stationen ihres Schulalltags. Dabei ist die Kamera (Judith Kaufmann) immer nah an der Lehrerin dran, was einen gewissen dokumentarischen Stil mit sich bringt. So wirkt das Gesehene weniger wie ein klassischer Film, sondern mehr wie eine Momentaufnahme. Und das wird über die komplette Laufzeit von knapp 100 Minuten so durchgezogen. Dabei verläuft die Handlung aber chronologisch und man kann ihr gut folgen. Dreh- und Angelpunkt ist dabei immer Carla und die bereits in der Inhaltsangabe beschriebene Situation. Man begleitet die junge Frau sowohl bei ihrem Kampf dafür das Richtige zu tun, als auch bei ihren Rückschlägen. Irgendwann meint man als Zuschauer diese fiktive Person zu kennen. Man leidet mit ihr, oder stimmt ihr zu, man will ihr auf die Schulter klopfen oder sie tröstend in den Arm nehmen. Dies ist am Ende auch der absolut großartigen schauspielerischen Leistung von Leonie Benesch zu verdanken. Wie sie die Lehrerin spielt, wie sie diese kämpferische, idealistische Art auf den Bildschirm bringt und wie sie den immer näher kommenden Nervenzusammenbruch darstellt ist absolut sehenswert! Völlig zurecht hat Benesch dafür den deutschen Filmpreis als beste weibliche Hauptrolle bekommen! Und sieht man sich den emotionalen Zustand von Carla an, so macht auch das schon angesprochene Bildformat Sinn. Denn dieses gestauchte Bild unterstreicht die beklemmende Atmosphäre, in die die Protagonistin immer mehr rutscht. Der hervorragende Soundtrack (Marvin Miller) fügt sich da auch harmonisch mit ein. Neben einigen ruhigen und emotionalen Klängen dominieren Streichinstrumente, welche oftmals absichtlich schief gespielt werden. Dadurch wird akustisch für ein gewisse Unruhe gesorgt, welche ebenfalls auf Carla´s Seelenleben gespiegelt werden kann, sowie auf die allmählich entgleisende Situation. Wie Regisseur Ilker Catak (welcher neben Johannes Duncker auch am Drehbuch mitschrieb) das alles zusammengefügt hat, ist Filmkunst in hoher Qualität!
Ist die Messe also gelesen und wir haben es hier mit einem Krimi-Plot an einer Schule zu tun, welcher dann zu einem Psychodrama mutiert? Tja Leute, so einfach ist es nicht. Denn Das Lehrerzimmer hat noch so viel mehr zu bieten!
Alltägliche und aktuelle Probleme im Mikrokosmos „Schule“
Der Krimi-Plot um die Diebstähle ist nämlich im Grunde „nur“ ein Aufhänger um den Rest zu erzählen. Am Ende ist es auch gar nicht mehr wirklich wichtig wer die Diebstähle begannen hat. Die Spannung wird durch die Folgen der Handlungen einzelner Personen erzeugt. Denn egal ob Carla, das Kollegium, die Eltern oder die Schüler, jeder hat seine individuelle Sicht auf die Dinge. Und alle Sichten sind aus dem jeweiligen Blickwinkel nachvollziehbar oder zumindest realitätsnah. Bei den Diskussionen im Lehrerzimmer bekommt man mit, wie unterschiedlich die einzelnen Pädagogen mit dem Thema umgehen. Dabei werden diverse Vorgehen hinterfragt oder in wie weit man Transparenz gegenüber den Schülern und Eltern zeigen sollte. Ist es okay alle Informationen offen zu legen oder ein paar Sachen nicht zu kommunizieren? Würze bringen da ein paar Schüler mit rein, welche an einer Schulzeitung arbeiten und ihre eigene Definition von Recherche haben. Auch Eltern, die sich in Messenger-App-Gruppen austauschen und ihr Missfallen dann zentriert an einem Elternabend raushauen, sorgen für zusätzliche Dynamik. Carla ist und bleibt dabei stets die Protagonistin, aber man muss auch sämtliche Nebencharaktere, sowie deren jeweilige Darsteller:innen loben. All diese Punkte halten den Streifen durchweg spannend. Im Gegenzug wirken die Fülle an Themen aber nie aufgesetzt oder deplaziert. Im Grunde kann man alles was in diesem Gymnasium geschieht auch auf die aktuelle Weltlage spiegeln, hier nur gebündelt in einem Mikrokosmos. Dabei geht man auch so konsequent vor und lässt alles Szenen (mit einer Ausnahme) in oder um dem Schulgebäude geschehen. Das ist insofern erwähnenswert, da man so nur die Infos bekommt, die auch Carla bekommt. Man sieht keine Szenen in einem Zuhause eines Schülers oder Lehrers. Keinen erweiterten Blick auf die Gesamtsituation (z.B. heimische Verhältnisse die bestimmte Verhalten erklären). Man hat als Zuschauer keinen Vorteil gegenüber der Figuren im Film, was sehr selten so praktiziert wird.
Ebenfalls bemerkens-, wie lobenswert ist die Tatsache, dass Das Lehrerzimmer zu keiner Zeit wirklich Stellung bezieht. Der Zuschauer wird nicht an die Hand genommen und zu einer Aussage, Lösung der Situation oder Auflösung geführt. Man wird angehalten die Situation anzunehmen, für sich zu bewerten, individuell zu reflektieren und im besten Fall etwas für sich mitzunehmen. Ich habe beispielsweise bei manchen Szenen zustimmend genickt, bei anderen Sachen den Kopf geschüttelt und 2-3 Mal einen Kloß im Hals gehabt. Alles Sachen die auch euch passieren können, nur nicht unbedingt bei den Szenen die es bei mir ausgelöst haben.
Und so kann man festhalten, dass dieser Film anders ist. Er ist mutig, er ist experimentell und er hat Substanz. Er kann zum Nachdenken anregen und glänzt durch eine durchdachte Inszenierung. Einzig mit dem Ende hatte ich anfangs so meine Probleme. Beinahe hätte ich es sogar als Kritikpunkt erwähnt. Doch der Streifen arbeitete in meinem Kopf. Und je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar wie perfekt das Ende eigentlich zum Rest des Filmes passt. Das Lehrerzimmer blieb bei mir haften und wird es auch weiterhin tun. Das sehen wohl auch andere Leute so, denn dieses Werk ist dieses Jahr für den Auslands-Oscar nominiert. Um meine Frage aus dem zweiten Absatz zu schließen: Ja, deutsche Filme können auch qualitativ hochwertig sein. Und ja, es gibt weiterhin Hoffnung für starke deutsche Beiträge. Deswegen heißt es bei den diesjährigen Oscars: Daumen drücken!
Bild und Ton
Natürlich kann man bei einem dialoglastigen und ruhigen Werk keine bombastischen Bilder und Klänge erwarten. Wie schon erwähnt kommt der Film im 4:3 Pillarbox-Format daher. Auf Blu-ray in 1080p. Akustisch wird man vom DTS-HD MA 5.1 Klang verwöhnt. Ebenfalls gibt es eine Hörfilmfassung für Sehgeschädigte in DD 2.0. Für diese Art Film ist das vollkommen in Ordnung.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial befinden sich einige aufschlussreiche Interviews mit Cast und Regisseur. Dabei werden etwa Fragen zur eigenen Schulzeit gestellt. Hier sind besonders die Sichtweisen und Erfahrungen der verschiedenen Generationen interessant! Ebenfalls gibt es einige geschnittene und erweiterte Szenen zu begutachten. Diese alternativen Handlungen lassen einen weiteren interessanten Blick auf das Projekt werfen, da sie gut die Ideen belegen, die die Macher noch hatten. Unterm Strich muss man aber sagen, das die fertige Kinofassung so perfekt ist (zumindest in meinen Augen). Und zu guter Letzt gesellen sich noch ein paar Trailer des Labels Alamode Film dazu. Vor 10 Jahren wäre das Bonusmaterial noch Standard gewesen, aber heutzutage kann man froh sein überhaupt welches zu haben. Für eine Blu-ray Amaray absolut in Ordnung, besonders wenn man bedenkt, dass das ein oder andere Label noch weniger Bonusmaterial in teuren Mediabooks anbietet.
Ja der Film ging so. Ziemliches Betroffenheitskino. Filmisch wie eine Folge Marienhof. Für einen deutschen Film aber gar nicht mal soo schlecht.
Hallo Gorgo.
Nunja, da hast du zwei Behauptungen aufgestellt ohne sie wirklich zu begründen.
„Filmisch wie eine Folge Marienhof“
Wenn man eine Folge „Marienhof“ und „Das Lehrerzimmer“ parallel schaut, sollten einem schon die qualitativen Unterschiede (darstellerische Leistungen, Drehbuch, audiovisuelle Umsetzung) auffallen.
„Betroffenheitskino“
Vertstehe ich auch nicht ganz. Der Film drückt in keiner Minute auf die Tränendrüse. Er versucht auch nicht dem Zuschauer Gefühle zu „diktieren“. Wie ich in der Rezi schon geschrieben habe KÖNNEN manche Szenen betroffen machen. Dies wird aber recht neutral erzählt und die Einordnung dem Zuschauer überlassen. Und die Inhaltsangabe gibt auch gut die Richtung des Streifens an. Da sollte eigentlich klar sein, dass man kein Feel Good Film zu sehen bekommt.
Klar ist das Einschätzen von Filmen immer subjektiv. Aber vielleicht könntest du deine Aussagen mit Argumenten etwas untermauern? Dann könnte ich deine Sicht eventuell besser nachvollziehen.
Da kann man und darf man nicht widersprechen, absolut richtig. Danke für diese Vorstellung und dass du dem Film hier eine Bühne gibst! :-)
Dem Film sollte man eine Bühne geben wo man nur kann. Er hat es einfach verdient. Ein wirklich starkes Stück. Und das noch aus hiesigem Lande!