[Review] Was wir fürchten (Serie)

[Review] Was wir fürchten (Serie)
2.3
Zusammenfassung: Eine nahezu perfekte deutsche Serie für alle, die mit Horror, Drama und Thriller etwas anfangen können. Das Drehbuch und die Darsteller bestechen dabei durch ein beeindruckend hohes Niveau. Dabei bezieht die Produktion auch klar Stellung zu einer mehr als fragwürdigen Psychotherapieform. Ein paar hauchdünne Makel am Horrorpart verhindern die Höchstwertung.

Vorab: Diese Kritik basiert auf einen Stream aus der ZDF Mediathek.

 

Inhalt

Teenagerin Lisa (Mina-Giselle Rüffer) leidet an Panikattacken, epileptischen Anfällen und depressiven Zuständen. Aufgrund dessen wurde sie an ihrer Schule stark gemobbt, was ihren Zustand immer weiter verschlimmert hat. Ihre Mutter Franka (Marie Leuenberger) will mit Lisa deshalb in das beschauliche Örtchen Großstetten, welches sich im Schwarzwald befindet, ziehen. Dort soll ihre Tochter zur Ruhe kommen und neu anfangen. Franka macht das aber nicht ganz uneigennützig. Sie ist beruflich nämlich Kommisarin und soll die Leitung bei der Polizei in Großstetten übernehmen. Dort geht alles drunter und drüber seitdem vor einem Jahr ein Amoklauf am örtlichen Gymnasium stattgefunden hat, bei denen zwei Schülerinnen ihr Leben lassen mussten. Franka und Lisa ziehen genau zum Jahrestag in ihr neues Zuhause. Die grausige Tat schwebt noch immer über allen Bewohner. Entgegen den Erwartungen der Mutter verschlimmert sich Lisa´s Zustand. Schonbald beginnt sie seltsame Visionen zu sehen…

Simon (Paul Ahrens) geht ebenfalls in Großstetten zur Schule. Er engagiert sich für eine Freikirche, in denen auch seine Eltern Mitglied sind. Allerdings hat Simon ein Geheimnis. Er ist homosexuell und lebt auch aktuell in einer solchen Beziehung.  Sein Vater Karl (Peter Jordan) ist Pfarrer in dieser strenggläubigen Gemeinde und kann Simon´s sexuelle Orientierung nicht gutheißen. In Karl´s Augen ist sein Sohn ein peinlicher, nicht normaler Klotz am Bein. Die Lösung sieht der fanatische Vater darin, Simon in eine Einrichtung zu verweisen, welche sich der Konversionstherapie verschrieben hat. Dort erlebt der Teenager die Hölle auf Erden…

 

Kritik

Wie ich in meinem Review zu Zwei Seiten Des Abgrunds schon schrieb, sind deutsche Serien qualitativ im Kommen. Die Inhaltsangabe in der ZDF Mediathek hat mich schonmal komplett abgeholt. Eine kurze Recherche ergab, dass hinter Was wir fürchten auch ein junges Team stand. Dieses Tatsache trieb meine Vorfreude weiter in die Höhe, da jüngere Leute vor- und hinter der Kamera gerne mal alte Konventionen durchbrechen und sich an alternativen und/oder internationalen Arten des Filmemachens versuchen. Auf eine hohe Vorfreude kann aber auch ein tiefer Fall folgen. Wie gut die 6-teilige Serie (a ca. 45 Minuten) geworden ist, möchte ich euch nun also in den folgenden Zeilen darlegen.

In der Mediathek wird Was wir fürchten als Horror klassifiziert. Und der Einstieg in die erste Folge macht das auch sehr deutlich. Lisa läuft des Nachts durch ein Schulgebäude. Das Neonlicht flackert, Schatten befinden sich in jeder Ecke. Musikalisch wird die Szene durch ein unheilvolles Dröhnen untermalt. Lisa bemerkt zu spät, dass sie von etwas verfolgt wird…

Nach diesem nervenzerrenden Auftakt beginnt die eigentliche Handlung. In dieser wird sich viel Zeit genommen die einzelnen Figuren vorzustellen. Und hier kann die Serie auch konstant punkten. Das Drehbuch von Judith Angerbauer, Daniel Rübesam (welcher auch Regie führte) und Torsten Lenkei ist dabei clever und durchdacht. Alle relevanten Charaktere bekommen ein ordentliches Profil. Die Beweggründe einer jeden Figur (ob jetzt positiv oder negativ) sind jederzeit nachvollziehbar, wozu auch die hervorragenden, und authentischen, Dialoge beitragen. Schnell kristalliert sich heraus, dass die Serie keine reine Horrorserie ist, sondern auch viele Drama- und Thrillerelemente enthält. Letztere sind in den Ermittlungen von Lisa´s Mutter zu erkennen. Diese rollt den Fall des Amoklaufs nämlich nochmal auf und stößt dabei auf Ungereimheiten.

Wie ihr der obigen Inhaltsangabe schon entnehmen könnt, wird die Handlung in zwei Stränge gegliedert. Immer im Wechsel folgen wir Lisa bei ihren Visionen und Ängsten, sowie Simon bei der Bewältigung seiner „Therapie“. Eigentlich gibt es auch noch eine dritte Hauptfigur. Dies bekommt man aber erst nach und nach mit, weshalb ich aus Spoilergründen nicht weiter darauf eingehe. In jedem Fall ist aber auch klar zu erkennen, wie sich der Titel der Serie erklärt. Es geht um Menschen und ihre Ängste. So gut wie jeder Charakter in Großstetten schleppt irgendein Trauma mit sich rum. Und jeder Charakter geht anders damit um. Angst haben aber Alle! Diese tragischen Schicksale (welche man erst am Ende komplett überblicken kann) in ein Horrorgewand zu packen ist dabei clever gewählt. Der reale Horror entsteht nämlich im Kopf eines Jeden von uns. Meistens bedingt durch individuelle Erfahrungen und die eigene Vergangenheit.

Was wir fürchten schafft es dabei eine perfekte Balance der Elemente „Horror“, „Drama“ und „Thriller“ zu halten. Charaktere bekommen genug Raum, die Horrorpassagen sind fast (darauf gehe ich später nochmal ein) immer ein „Kissenkraller“, die dramatischen Szenen sorgen für einen konstanten Kloß im Hals ohne dabei zu plakativ auf die Tränendrüse zu drücken, und die Thrillerkomponente ist durchweg spannend. Auch die Grundhandlung ist nicht durchweg vorherzusehen und kann in der vorletzten 5. Episode gar mit einem waschechten Gamechanger glänzen!

Visuell steht dabei passend die innere Zerrissenheit der Charaktere im Fokus. Großstetten und Umgebung sind zwar malerisch, aber auch in ein konstant nebliges und diesiges Wetter gehüllt. Die Farben sind reduziert, sodass die komplette Szenerie trostlos wirkt. Kameramann Roland Stuprich schaffte es, die schwermütige Grundstimmung der Handlung vorbildlich zu visualisieren. Der Schnitt von Linda Bosch reiht sich da gekonnt mit ein. In den Dialogen erhält der Zuschauer lange Einstellung der Protagonisten, während bei Horrorpassagen ein schnellerer Schnitt für einen erhöhten Puls sorgt.

Auf der Darstellerseite hat man auch aus einem großen Topf an Talent geschöpft. Durchweg jeder Schauspieler und jede Schauspielerin liefern eine sehr gute bis hervorragende Leistung. Besonders hervorheben möchte ich da die Protagonisten Mina-Giselle Rüffer und Paul Ahrens. Beide verstehen ihre Figuren und können deren innere Tragik beeindruckend verkörpern! Zu erwähnen sind auch noch Alessandro Schuster und Christopher Schärf. Ersterer mimt den Mitschüler Leon. Dieser freundet sich nach und nach mit Lisa an. Schuster´s Schauspiel vergleiche ich gerne mit dem von Ryan Gosling. Er spielt reserviert und subtil. Man merkt aber ständig, dass es in seiner Figur brodelt. Irgendwas ist da, aber man kann es nicht greifen. Gegen Schluss gibt es dann ein paar Szenen in denen Schuster komplett ausbrechen kann. Und diese Emotionen so mitreißend auf die Leinwand zu bekommen ist schon eine riesige Leistung! Zu erwähnen wäre auch noch, dass die 3 Jungdarsteller gerade einmal Anfang 20 sind. Das macht deren Spiel nur noch beeindruckender. Schärf gibt den Leiter der Konversionstherapie-Einrichtung. Und dieser Leiter ist menschlich mit das widerwärtigste, was ich seit langem gesehen habe. Schärf legt seine Figur dabei aber nicht als stumpfen Antagonisten an. Man nimmt dieser Figur ab, dass sie von ihrem Handeln überzeugt ist. Das macht diese Figur zwar nicht weniger abartig, aber eben menschlich, was wiederum nahe an der Realität liegt.

 

Ganz leichte Schönheitsmakel

Was wir fürchten macht im Grunde alles perfekt. Dennoch gibt es in meinen Augen ein paar hauchdünne Kratzer im Lack und diese betreffen den Horror-Part. Wie schon geschrieben ist dieser audiovisuell super eingefangen und sorgt für schwitzige Hände. Das stören auch ein paar konventionelle, da vorhersehbare, Jumpscares nicht wirklich. Das Problem ist eher, wie diese Schockmomente eingesetzt wurden. In 8 von 10 Fällen passen sie zur Szene und sind für die Handlung sinnvoll. Manchmal wird der Schreckmoment auch nicht ausgespielt und eine unterschwellige Gänsehaut setzt ein. Bei manchen dieser Szenen hatte ich aber den Eindruck, dass sie mit reingequetscht wurden ohne das sie wirklich zur Handlung passen. Als sagte man sich: „Hey, wir machen hier eine Horrorserie. Da müssen noch mehr Jumpscares rein“. Auffällig, aber selten der Fall. Was mich mehr störte ist der Part des Übernatürlichen an sich. Im Grunde spielt sich ja das Meiste im Kopf des jeweiligen Charakters ab. Das ist passend und realistisch. In 2-3 Szenen jedoch ist dieser übernatürliche Part Fakt. Sprich, er spielt sich wirklich so ab. Und das hätte es meiner Ansicht nach nicht gebraucht. Die Serie lebt von ihren realistischen Ängsten und wie sie sich bemerkbar machen. Hier die Wand zum Übernatürlichen zu sprengen halte ich für absolut nicht notwendig. Die Handlung funktioniert auch so. Ohne diese übernatürlichen Spitzen sogar besser.

Das ist aber Meckern auf sehr hohem Niveau. Unterm Strich haben wir es mit einer super Serie zu tun, die die Handlung auch zu einem runden Abschluss bringt. Von mir das Prädikat: Absolut sehenswert!

9 Gesamtwertung
Was wir fürchten

Eine nahezu perfekte deutsche Serie für alle, die mit Horror, Drama und Thriller etwas anfangen können. Das Drehbuch und die Darsteller bestechen dabei durch ein beeindruckend hohes Niveau. Dabei bezieht die Produktion auch klar Stellung zu einer mehr als fragwürdigen Psychotherapieform. Ein paar hauchdünne Makel am Horrorpart verhindern die Höchstwertung.

Umsetzung
8.5
Story
9.5
PROS
  • Spannende, emotionale Handlung
  • Durchweg hervorragende Darsteller
  • Kamera, Musik, Regie und Drehbuch auf hohem Niveau
  • Wichtige Botschaft bezüglich fragwürdiger Therapieform
CONS
  • Ein paar wenige Jumpscares zu vorhersehbar
  • Der übernatürliche Part nimmt ein paar Mal unnötig viel Raum ein

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2 Kommentare
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Gast
Ash
6. Januar 2024 20:09

Du bist jetzt ja quasi mein (dt.) Serienspezialist:-D Hört sich auch gut an und werde ich anchecken, was mir da alles entgeht, wenn ich die ZDF Mediathek nicht verwende, wow :-)

Collectors-Junkies
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