[Review] Nicht jugendfrei! Tagebuch aus West-Berlin von Jörg Buttgereit (inkl. Signatur)
Jörg Buttgereit hat ein Buch geschrieben und alle Filmfans wissen, dass das zwar eine Wiederholungstat ist (siehe Japan – Die Monsterinsel, Nekromantik und Besonders wertlos – Filmtexte), aber dieses Mal handelt es sich um ein sehr persönliches Tagebuch, weshalb wir uns dies als süchtige Sammler des filmischen Erbes genauer betrachten.
Story
In Nicht jugendfrei! Tagebuch aus West-Berlin geht es um nichts anderes, als um den Werdegang des Jörg B., geboren 1963 in Berlin, der als erste bewusste Erinnerung ein gemeinsames Fernseherlebnis mit seinem Papi beschreibt, er ist ca. 4 Jahre alt. Was ihm da im Fernsehbildschirm vor die Augen kommt, ist Ray Harryhausens Zyklop aus Sindbads siebente Reise, dessen Tricktechnik den kleinen Jungen ob ihrer Monstrosität nachhaltig beeindrucken und prägen werden. Mit dieser Urszene schildert Buttgereit seine Liebe fürs Kino, die sich aus den Monstern der Filmgeschichte speist, wie bekanntlich Godzilla, King Kong oder Frankenstein. Gerade die Sozialisierung mit Horrorfilmen ist hochinteressant, die wohl in dem Ausmaß West-Berlin anders transportieren konnte, als das schwäbische Umland. Buttgereit schildert dieses Leben bis zum ungefähren 10. Lebensjahr, springt dann in die frühe Jugend, wo auf einmal die Konzerte von Bands wie Led Zeppelin, Sex Pistols oder Kiss interessant werden, was schließlich in der kultischen Verehrung der großen Ikone von Bruce Lee kulminiert, der bekanntlich über jeden Zweifel erhaben ist. Fortan schildert Buttgereit seine weitere Entwicklung zwischen Kino, Punk und Freundschaften, was ihn schließlich zu seiner eigenen Filmproduktion bringt, bis hin zu seinem berüchtigten Spielfilm Nekromantik, dessen Entstehungsgeschichte im Rahmen seines bisherigen Lebenswegs und im Angesicht des historisch-politischen Klimas in Deutschland nochmal beeindruckender ist, als man sich das eh schon gedacht hat.
Dieser Jörg traut sich was, und das ganz von Anfang an, schon als er Harryhausens Zyklop standhält bis hin zur Phantastik des Horrors, der jedem bundesdeutschen Muttchen die Tränen ins Auge treibt. Ein Brief seines Pastors, der sich um sein „Seelenheil“ sorgt, ist hierbei besonders irritierend. Der Rest des Buches schildert in mehr oder weniger kleinen bis großen Sprüngen die weitere Entwicklung von Jörg Buttgereit und macht insgesamt klar, und das erscheint schon fast tragisch, dass Deutschland im damaligen Klima der Zensur ein Land war (und ist), dass seine kreativsten Köpfe kriminalisiert hat, statt gefördert. Gerade die Beispiele von Sam Raimi mit Tanz der Teufel oder Peter Jackson mit Braindead sprechen Bände und zeigen, dass Deutschland kein fruchtbares Land für diese Art Kino ist. Glücklicherweise mussten Raimi und Jackson nicht die polizeilichen und juristischen Konsequenzen über sich ergehen lassen, wie Jörg, was wirklich ein Armutszeugnis ist. Wohingegen die anderen Kollegen große Regisseure von Weltruf wurden, musste Buttgereit sich eine Nische im deutschen Kunst- und Theaterbetrieb suchen, bleibt allerdings berechtigterweise international eine Größe. Das ist zwar einerseits anerkennend, andererseits sagt es viel über das Kunstverständnis unseres Landes. Und hierzu passt perfekt das Eingangszitat von Werner Herzog, das Buttgereit gewählt hat.
Aus meiner Sicht ist das Buch eine unbedingte Kauf- und Leseempfehlung, das sich schon alleine aufgrund der unzähligen Bilder lohnt, wie aber auch des Inhalts wegen. Jörg Buttgereit erscheint aus dieser Sicht durchwegs als sympathischer und eigenständiger Künstler, der nie mit dem Strom geschwommen ist, sondern immer seine eigene Liebe für das, was ihm wichtig war, verteidigt hat. Besonders sympathisch finde ich auch, dass er die für andere „peinlichen“ Cover von Metalbands wie Slayer zur damaligen Zeit schon verteidigte. Auch seine Liebe für das japanische Monsterkino ist so ein Beispiel. Ehrlicher kann man nicht sein und von dieser Attitüde könnten sich so einige was von abschneiden. Genau diese Form der Liebe zum Vergangenen macht das Buch schon jetzt zum Filmbuch des Jahres.
Verpackung, Bebilderung und Ausstattung
Die Umsetzung von Buttgereits Tagebuch durch den Martin Schmitz Verlag verdient nun alle Lobpreisung, die man sich nur vorstellen kann. Selten so ein schönes und liebevoll gestaltetes Hardcover-Buch zu einem verhältnismäßig sehr geringen Preis gesehen. Der Außenumschlag bietet Spotlackhervorhebungen, der Kern ist farblich gestaltet, mit einer durchgängigen Schulheftlinierung, was die Lektüre besonders ansprechend macht. Als Höhepunkt gilt wohl die durchwegs und massenhafte Bebilderung mit seltenen Fotos, Zeitungsausschnitten, Plakaten, Memorabilia und zwei sehr interessanten Schaubildern zu den Special Effects von Nekromantik und Der Todesking. Gerade die Weggefährten und Namen, die hier auftauchen, kann man gar nicht alle nennen und so tauchen nur beispielsweise und manchmal schlaglichtartig natürlich Die Ärzte auf, Genesis P-Orridge, Ben Becker, Quentin Tarantino, Gaspar Noe, Udo Kier, Ken Russell, Ruggero Deodato, Christoph Schlingensief, etc. pp.
Bonus
Als besonderen Bonus haben der Martin Schmitz Verlag und Jörg Buttgereit den Vorbestellern eine Signierung ohne Extrakosten angeboten, die es mittlerweile natürlich nicht mehr gibt. Auf meinem Exemplar ist diese in den Bildern zu sehen. Ich möchte sagen, dass dies eines der schönsten Autogramme ist, das ich habe. Jörg hat einen kleinen Todesking mit Herz zugefügt, den es so und in anderen Variationen auch gibt. Jede Signatur erscheint so als kleines Original. Wer sich so ein Kleinod also noch besorgen möchte, sollte unbedingt zu den Lesungen auf den einschlägigen Filmbörsen gehen und sich da von Jörg selbst quittieren lassen.
Tolle und wirklich liebevoll geschriebene Review. Ich wünschte mir, ich hätte vorab von diesem Release erfahren.
Dann hätte ich sehr gern vorbestellt….schade.
Ohja, das Ding ist für mich im Grunde Pflichtprogramm. Dummerweise habe ich derzeit noch ein anderes Buch rumliegen durch das ich mich noch wälzen muss. ;)
Aber Butti’s Buch wandert direkt auf meine Liste!
Das Deutschland schon immer ein Problem mit dem Fördern von Künstlern hatte dürfte klar sein. Besonders traurig ist es, wenn man bedenkt was hauptsächlich gefördert wird. Da fallen Namen wie Schweiger oder Schweighöfer. Auf der anderen Seite ist das aber eben auch vom Publikum abhängig. Förderung wandert da hin, wo sie was abwirft. Das Publikum bekommt den Einheitsbrei, den es sich wünscht und eigensinnige bzw schwierige Werke fallen hinten runter. Ich habe das Gefühl, dass das in Deutschland ein größeres Problem ist als in anderen Ländern. Aber ich will das jetzt nicht vertiefen. Ich rege mich nur wieder auf. :)
Danke auf jeden Fall für deine leidenschaftliche Vorstellung!
Sehr gerne TP, ja, da denke ich doch gleich an das „Schweiger/n“ der Hammel;-P
Ja du, da legen wir besser den Mantel des „Schweige(r)ns“ drüber. ;)